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Eines der beiden spätmittelalterlichen "Annaberger Chorbücher", die die SLB 1968 erworben und restauriert hat.

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Sächsische Landesbibliothek
Kurfürstliche Bibliothek
Königliche Bibliothek

 

Aus dem sog. Skizzenbuch Albrecht Dürers: eigenhändig gezeichnete Stichvorlage zu einer Abbildung für seine Proportionslehre.

Maya Handschrift, Codex Dresdensis, Tafel 46

20. September 1994 - Hotel Dresdn Hilton

   


Unsere Sächsische Landesbibliothek ...

... mit Dr. Wolfgang Frühauf, Direktor der Sächsischen Landesbibliothek 
Die Sächsischen Landesbibliothek – Porträt einer königlichen Sammlung

Die grossen Dresdner Kulturinstitute sind alle etwa gleich alten Ursprungs. Liegt für die heutige Sächsische Staatskapelle (vormals Hofkapelle) eine Gründungsurkunde von 1548 vor, unterzeichnet vom Kurfürsten Moritz, so gehen die beiden anderen Kern-Gründungen auf Kurfürst August zurück, der seinem früh verstorbenen Bruder Moritz auf den Thron folgte. Die eine davon ist die Kurfürstliche Bibliothek, die andere die Kunstkammer. Kennt man für letztere das Jahr 1560 als Ausgangspunkt, so kann für die Bibliothek nur auf Jahreszahlen zurückgegriffen werden, die sich auf prächtig verzierten Buchdeckeln befinden, begleitet von den Initialen des Kurfürsten August und teilweise auch von seinem Bildnis. 1553 – das Jahr des Regierungsantritts – ist als frühestes zu finden, doch wird allgemein 1556 angesetzt als jenes Jahr, in welchem erstmals offenbar planmässig Bücher erworben wurden.

Festzustellen bleibt, dass dies ebenso wenig die ersten Bücher am kursächsischen Hof gewesen sind, wie etwa das höfische Musikleben 1548 begann oder Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft, des Kunsthandwerks erst ab 1560 bei Hof Aufnahme fanden. Die genannten Gründungsjahre bezeichnen lediglich den Ausgangspunkt einer jeweils kontinuierlichen Pflege, die über gute und schlechte Zeiten, ja über Katastrophen hinweg bis heute lebt und den internationalen Ruf Dresdens als Kulturstadt entscheidend beeinflusst. 

Für die Bibliothek sind folgende Charakteristika massgebend:

Begründet wurde die Sammlung sozusagen als „Arbeitsmittel“ des Kurfürsten. Ihre Funktion als Lehrbuchsammlung für die Prinzen kam bald hinzu (parallel verhält es sich mit dem Lehrmittelcharakter der Kunstkammer). Die von Anfang an aufwendige, künstlerisch hochwertige Gestaltung der Einbände demonstriert die immanente Repräsentationsfunktion der Sammlung (wie sie vor allem auch der Hofkapelle eigen war). Im Gegensatz zu anderen Hofbibliotheken hat die Kurfürstliche Bibliothek zu Dresden (später Königliche Bibliothek), solange sie von der Schatulle des sächsischen Herrschers unterhalten wurde, ihren Bestand ausschliesslich durch ordentlichen Kauf vermehrt. Schenkungen und Erbschaften ausgenommen, ist ihr kein unbezahltes Buch zugegangen. Als zum Beispiel im Gefolge der Reformation Klöster liquidiert und deren Bibliotheken verfügbar wurden, haben die sächsischen Kurfürsten ihre Universitäten (vor allem Leipzig), die von ihren gegründeten Fürstenschulen (Pforta, Meissen, Grimma) sowie diverse Stadtschulen mit dem klösterlichen Buchbestand beschenkt.. Die naheliegende Übernahme in den eigenen Besitz fand nicht statt.

Von Anfang an wurde zwischen der „Staats-Bibliothek und privaten Büchersammlungen der Wettiner unterschieden. August selbst besass eine Kollektion, die er sogar auf reisen mit sich nahm und die deshalb besonders hergerichtet war (schmale, raum- und gewichtssparende Einbände, dazugehörige Transportbehältnisse). Sie ging später in die „Staats“-Bibliothek ein, während die private Büchersammlung seiner Gemahlin, der geistig äusserst regsamen Anna, einer gebbürtigen dänischen Prinzessin, nach dem Tod 1590 der Kunstkammer zugewiesen wurde.

Es ist dies ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen: Die Zuständigkeitsgrenzen der einzelnen kurfürstlich-königlichen Sammlungen, bis hin zum Staatsarchiv, sind häufig nur ungenau eingehalten worden. Es gehörte ja alles in denselben Besitz und unter dieselbe Verwaltung, ganz gleich, wo es „abgelegt“ wurde. Noch heute findet man Jacob Krause-Einbände im Staatsarchiv und bei den Staatlichen Kunstsammlungen, dagegen Gemälde, Kunstblätter, Karten und Aktenstücke in der Staatsoper, im Amt für Denkmalpflege oder in der Landesbibliothek.

Das Stichwort „Jacob Krause“ ist gefallen: Er benennt den bedeutendsten deutschen Renaissance-Buchbinder, der sein Lebenswerk, unterstützt und fortgesetzt durch seinen Mitarbeiter Caspar Meuser, in kursächsischen Dienst vollbrachte und zur Kostbarkeit der frühen Churfürstlichen Bibliothek erheblich beitrug. Die Einbände von Krause und Meuser haben auch in späteren Zeiten ihre Betrachter entzückt und in unserem Jahrhundert den Anstoss dafür gegeben, die Einbandforschung als Wissenschaftszweig zu begründen.

Unter Kurfürst Augusts Nachfolgern  gedieh die Bibliothek teils mehr, teils weniger, zumal sie lange Zeit unter der Aufsicht der Oberhofprediger stand, die eine oft restriktive Zensur übten. Interessant aber ist, dass die Nutzung für höfische und bürgerliche Kreise periodenweise sehr grosszügig ermöglicht wurde. Weniger dagegen bezog man die Bibliothek in die Besichtigungsrundgänge für Freunde ein.

Dies Letztere kam erst in Gang, seit Friedrich August I. regierte (Kurfürst seit 1694). Bekanntlich hat der sogenannte „starke“ August alle kurfürstlichen (alsbald zugleich königlichen)  Sammlungen und Kulturinstitute enorm gefördert und sowohl deren Spezialisierung als auch deren Vermehrung betrieben. Die Bibliothek, seit ihrer Begründung im Residenzschloss untergebracht, wo der Platz längst nicht mehr ausreichte, durfte 1728 drei Pavillons des Zwingers beziehen. Zuvor hatte sie allerlei artfremdes Sammlungsgut an die Zuständigen Sammlungen abgegeben und von diesen entsprechendes empfangen (dass die strikte Trennung nicht von Dauer war, haben wir schon erwähnt). Der Zwinger wurde somit , als Sitz der reichhaltigen „Staats“-Bibliothek, des sächsischen „Bildarchivs“ (aufgeteilt auf Kupferstich-Kabinett und Kurfürstliche Bibliothek) und des Mathematisch-Physikalischen Salons, zu einem der frühesten wissenschaftlichen Museen Europas. Indessen hatte die Bibliothek bedeutenden Zuwachs erhalten durch den Ankauf etlicher Privatbibliotheken von Gelehrten und adligen Sammlern, auch die Bibliothek des Herzogs Moritz von Sachsen-Zeitz, mit dessen Tod eine sächsische Seitenlinie erlosch und abgetrenntes Territorium wieder an Kursachsen fiel, gehörte dazu. Auf diese Weise konnte die Dresdner Bibliothek ihren Bestand vor allem retrospektiv ergänzen und weit in die Zeit vor ihrer Gründung ausdehnen. Die Zahl ihrer Inkunabeln (d.h. Bücher aus dem 15. Jahrhundert als der frühesten Periode des Buchdrucks mit beweglichen Lettern) wie auch ihr Besitz an mittelalterlichen Handschriften hatte erheblich zugenommen. Zeitgenössische Drucke wurden nun in grossem Umfang gekauft.

Im Ergebnis alles dessen war der Zwinger bald wieder unzureichend. Er entsprach wohl ohnehin mehr musealen als bibliothekspraktischen Anforderungen, denn Bibliothekare klagten, dass das „Hin und Herschaffen der Bücher“ über den Zwingerhof bei schlechter Witterung nicht nur beschwerlich, sondern für die Bände auch schädlich sei. Also scheint die Benutzung rege und wieder relativ grosszügig gewährt gewesen zu sein.

Die komplexe Erwerbung der Bibliotheken der Grafen Brünau (bei welchem u. a. Johann Joachim Winckelmann als Bibliothekar tätig gewesen war) und Brühl sowie einiger weiterer Sammlungen brachte ab 1764 einen geballten Zugang von weit über 100.000 Bänden und die zwingende Notwendigkeit, eine neue, angemessene Unterbringung zu suchen. Eine solche wurde gefunden und kostenaufwendig hergerichtet im Japanischen Palais am Neustädter Elbufer. 1786 erhielt sie den Status einer öffentlichen Bibliothek, d.h. mit täglichen Öffnungszeiten für ein auch ausserhöfisches Publikum, gemäss der Inschrift am Portalgiebel des Palais „Museum usui publico patens“ (=der öffentlichen Nutzung freigegeben).

Unverändert bleibt die Integration der Bibliothek in die Verwaltung der Museen. Eine Lokalunion besteht so lange, bis sich die ausdehnende Bibliothek die Skulpturen-, die Porzellansammlung und alles Übrige (z. B das berühmte, 1830 in das Jagdschloss Moritzburg überführte mexikanische Federzimmer) hinausdrängt. Der Schauwert der Bibliothek im Japanischen Palais ist ihrer inhaltlichen Bedeutung zweifellos adäquat. Gegen 1800, als sie nächst der Wiener  als die reichste deutsche  Fürstenbibliothek gilt, etabliert sich unter Europareisenden folgendes „Pflichtprogramm“ für Dresden: Man hört die Musikaufführungen der Kurfürstlichen (später Königlichen) Kapelle in der Katholischen Hofkirche und man besichtigt sowohl die Gemäldegalerie als auch die Kurfürstliche (später Königliche) Öffentliche Bibliothek. Der Besuch der weiteren königlichen Sammlungen ist „fakultativ“, also dem Geschmack und Interesse der Besucher anheimgestellt. Immerhin betrifft dies die Sammlungen wie das Grüne Gewölbe, die Antiken-, die Porzellan- und die mathematisch-physikalische Sammlung!

Um diese zeit allerdings wird mit dem Herausstreichen des museal-ästhetischen Aspekts ein wenig kaschiert, dass die Bibliothek ihre führende Position in Deutschland eingebüsst hat. Die weitaus besser dotierten königlichen Bibliotheken in Berlin und in München sind nach vorn gerückt.. In Dresden bemüht man sich, einerseits durch Verkauf sogenannter Dubletten (Doppelstücke) den zu schmalen Erwerbungsetat aufzubessern und andererseits die bisherige Universalität  des Sammelns klugerweise aufzugeben zugunsten der beizubehaltenden Fächer, welche trotz explodierender Buchproduktion (maschinelles Drucken auf maschinell gefertigtem Papier) angemessen gepflegt werden sollen. Die Einschränkung des Sammelns bietet sich an durch die Etablierung des Polytechnikums und der Medizinischen Akademie  am Ort mit jeweils unterhaltenen Fachbibliotheken, die ihrerseits auf diejenigen Sammelgebiete verzichten können, die von der Königlichen Öffentlichen Bibliothek betreut werden. 

Aus den Ereignissen von 1919 geht die SLB hervor als einzige zentrale Bibliothek des Freistaates Sachsen. Zunächst, wie alle >Sammlungen, den Nöten der Inflation ausgesetzt, erlebt sie alsbald einen Aufschwung, der sie erneut in die erste Reihe deutscher wissenschaftlicher Grossbibliotheken rückt. Durch den inneren Umbau des Japanischen Palais (eine denkmalpflegerische Spitzenleistung damaliger Zeit) und durch eine weitgehend erneuerte Arbeitsorganisation wird sie zum Muster modernen Bibliotheksbetriebes und von angehenden wissenschaftlichen Bibliothekaren bevorzugt für die Vervollständigung ihrer theoretischen und praktischen Ausbildung aufgesucht.

Im Jahre 1947 hat die SLB in einer Kaserne der Albertstadt ihre Tätigkeit wieder aufgenommen und sich nach Kräften bemüht, Verluste antiquarisch zu ersetzen sowie den neuen Bestand zu mehren. Mir der (am sächsischen Landtag entstandenen) Stenographischen Sammlung  und der Deutschen Fotothek (ursprünglich als Sächsische Landesbildstelle begründet) gewann sie zwei bedeutende Erweiterungen ihres Sammelspektrums und fügte eine dritte hinzu durch den Aufbau einer rasch wachsenden Phonothek. Insgesamt leistungsfähig und leistungsstark , überstand sie die DDR-Zeit relativ glimpflich Sie vermochte sogar, ihren Namen trotz Auflösung der Länderstruktur zu bewahren und zur Erhaltung  des Bewusstseins einer sächsischen Identität beitragen. Ihre landesbibliothekarischen Funktionen  hat sie nie aufgegeben und war daher gut vorbereitet, als es hiess, den alten Platz im gesamtdeutschen Biblitotheksgefüge und an der Spitze des sächsischen Bibliothekswesens wieder einzunehmen. Eines der schwersten Handicaps, unter denen die Sächsische Landesbibliothek seit 1945 leidet, ist das Provisorium ihrer Unterbringung an der Stadtperipherie. Sie wartet als einzige der ehemaligen königlichen Sammlungen noch immer darauf , in das Stadtzentrum zurückkehren zu dürfen. Mit ihren trotz aller Verluste und Aussenstände imposanten Altbeständen und literarischen Primärquellen, mit ihren reichen Auskunftsmitteln und vielseitigen Ausstellungen  gehört sie in die Nähe der verwandten Institutionen, in deren wieder vollklingendem Akkord ihre Stimme gegenwärtig noch zu leise tönt.